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Herr der Diebe / Cornelia Funke

Titel: Herr der Diebe

Autor: Cornelia Funke

Seitenzahl: 389

Woher ich es habe: gebraucht gekauft

Als bekennender Funke-Fan war es nur eine Frage der Zeit, bis ich mich nach der Tinten-Trilogie und den beiden Reckless-Bänden auch an den „Herrn der Diebe“ wagen würde. Obwohl ich natürlich wusste, dass es sich bei dem Buch um eines für die jüngeren Leser handelt, waren meine Erwartungen groß, denn für mich steht Cornelia Funke einfach für zauberhafte Plots und sympathische Protagonisten. Bekannt war mir von der Geschichte nicht viel, ich konnte mich nur schwach daran erinnern, einmal den Kinotrailer zur Verfilmung gesehen zu haben – das hatte mich aber damals nicht weiter interessiert. Umso gespannter war ich nun auf das Buch und ich will nur eines vorwegnehmen: ich wurde nicht enttäuscht!

Handlung:

Nach dem Tod ihrer Mutter sollen die beiden Brüder Bonifazius – genannt Bo – und Prosper voneinander getrennt werden. Ihre einzigen noch lebenden Verwandten, Tante Esther und Onkel Max, haben nämlich nur Augen für den niedlichen, 5-jährigen Bo mit dem blonden Haar und dem Engelsgesicht. An Prosper, der immerhin schon 12 Jahre alt ist, zeigen sie keinerlei Interesse und wollen ihn daher in ein Kinderheim abschieben. Doch da haben die beiden Erwachsenen die Rechnung ohne Prosper und Bo gemacht, denn die beschließen, einfach wegzulaufen und nach Venedig zu fliehen – die Stadt, von der ihnen ihre Mutter vor ihrem Tod immer die wundervollsten und märchenhaftesten Dinge erzählt hatte. Und tatsächlich schaffen es die beiden Brüder auch in die Lagunenstadt, wo sie sich einer Bande Straßenkinder anschließen. Der Leseratte Wespe und den Jungen Mosca und Riccio. Anführer der Kinder ist Scipio, der sich selbst „Herr der Diebe“ nennt und die Kinder durch seine Raubzüge mit Geld, Lebensmitteln und anderem versorgt. Doch eines Tages tauchen Tante Esther und Onkel Max in Venedig auf und beauftragen den Privatdetektiv Victor mit der Suche nach den Brüdern.

Eigene Meinung:

Schon die Aufmachung des Buches zeigt deutlich, dass man es als Leser hier mit einem Kinderbuch bzw. einem Buch für jüngere Jugendliche zu tun hat. Das Cover zeigt Scipio, den „Herr der Diebe“ bei einem seiner Raubzüge vor Kulisse Venedigs. Die Zeichnungen auf dem Umschlag, wie auch diejenigen im Innenteil, stammen wieder von der Autorin selbst und illustrieren liebevoll Kapitelanfang und -ende. Es sind typische, venezianische Stadtansichten oder kleine Details wie Masken oder Teile von Hausfassaden oder Gondelverzierungen zu sehen. Die Schrift an sich ist etwas größer, was wiederum auf den Druck für ein jüngeres Lesepublikum hindeutet.

Wie die Reckless-Reihe oder die Tinten-Trilogie auch, lebt dieses Buch von Cornelia Funkes tollen Charakteren. Zuerst sind da natürlich die beiden Brüder Prosper und Bo, die nach dem Tod ihrer Mutter noch fester zueinander stehen als je zuvor. Vor allem der 5-Jährige vermisst seine Mutter schmerzlich, auch wenn Prosper sich alle Mühe gibt, gut für ihn zu sorgen. Trotz allem hat Bo aber seine Neugier an allem, was um ihn herum geschieht, nicht verloren. Für ihn ist Venedig ein einziger großer Abenteuerspielplatz. Nichts wünscht er sich mehr, als einmal mit dem „Herrn der Diebe“ auf Beutezug zu gehen; schließlich sorgt der jeden Tag für das Überleben der Straßenkinder und hat sich so Bos grenzenlose Bewunderung verdient. Prosper hingegen ist stets hin- und hergerissen zwischen seinen festen Moralvorstellungen, die es ihm verbieten, zu stehlen und dem Wunsch, seinem kleinen Bruder alles kaufen zu können. Auch die anderen Kinder der Bande sind sehr interessante Charaktere, vor allem Wespe scheint eine tragische Kindheit hinter sich zu haben. Leider erfährt man hiervon nur wenig; das ist mein einziger, kleiner Kritikpunkt an der Geschichte.

Aber nicht nur die Kinder, auch die Erwachsenen sind gut charakterisiert und glaubhaft gestaltet. Natürlich ist, wie in einem Kinderbuch üblich, von Anfang an gut zu unterscheiden, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. So sind dem Leser der Privatdetektiv Victor, der die Brüder eigentlich verraten soll, dann aber Mitleid mit ihnen hat und die wohlhabende Ida Spavento, bei der die Band einbricht, dann aber von ihr überrascht wird, sofort sympathisch. Sie unterstützen die Kindern, wo sie nur können und ermöglichen ihnen so ein neues, leichteres Leben. Im Gegensatz dazu hat man als Leser von Anfang an eine Abneigung gegen Bos und Prospers Onkel und Tante sowie gegen den Antiquitätenhändler Barbarossa, bei dem die Kindern ihr Diebesgut verkaufen und den geheimnisvollen Conte, der dem „Herrn der Diebe“ einen mysteriösen Auftrag erteilt. Was ich der Autorin aber hoch anrechne, ist, dass ihre Figuren trotz dieser klaren Aufteilung in gut und böse, dennoch nicht einfach nur schwarz/weiß gezeichnet sind. Während die „guten“ Charaktere Fehler machen und Schwächen besitzen, zeigen die „bösen“ Figuren im Handlungsverlauf immer wieder, dass auch sie Menschen mit Träumen sind, die trotz allem auch etwas Gutes in sich tragen.

Und dann bleibt da noch Scipio, der „Herr der Diebe“, Namensgeber des Buches. Er ist wohl mit die interessanteste und geheimnisvollste Figur des gesamten Buches. Unzählige Raubzüge gehen auf das Konto des Jungen, der selbst nicht viel älter als Prosper ist. Doch obwohl es überdeutlich ist, wie sehr er die Bandenmitglieder mag und sich um sie sorgt, bleibt er dennoch unnahbar, fast schon arrogant. Jede Nacht verschwindet er aufs Neue, niemand weiß, wo er eigentlich liebt und wer er in Wahrheit ist. Dieses Geheimnis wird natürlich im Verlauf der Handlung gelüftet und ich muss sagen, dass ich doch überrascht war. Auch der Auftrag des Conte an Scipio und seine Bande nimmt von Seite zu Seite an Brisanz zu und wird das Leben der Kinder schließlich für immer verändern.

Ich kann nur sagen, dass der „Herr der Diebe“ mich begeistert hat. Die Figuren, die Handlung, der Ort – all das hat mich verzaubert. Venedig war schon immer eine Stadt, die ich gerne einmal besuchen wollte, doch nach der Lektüre des Buches ist dieser Wunsch so stark, dass ich am liebsten sofort in den nächsten Flieger steigen möchte. (Eine ähnlich Wirkung hatte übrigens auch „Zeitenzauber“ von Eva Völler auf mich. Hier erscheint im März 2013 endlich Band 2!) Auch den Film habe ich gleich auf den Weihnachtswunschzettel gesetzt und hoffe, dass er zumindest einen Bruchteil des Zaubers einfangen kann.

Fazit: eine zauberhafte Geschichte, die auch Erwachsene in ihren Bann zieht und Lust auf eine Reise nach Venedig macht